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F. Wie steht es nun endgültig mit dem Verhältnis von Du und Ich in der
Beurteilung und Behandlung der Menschen von Gott aus?
A. Jesus sagt darüber abschließend: „Alles nun, was ihr wollt, daß die
Menschen euch tun, das sollt auch ihr ihnen tun; denn das ist das Gesetz und
die Propheten.“ (Mt. 7, I2.) s Vgl. Lukas 18, 7-B.
F. Wie ist das gemeint? Ist das bloß eine Nützlichkeitserwägung im Sinne
des Wortes: "Do ut des: Ich gebe, damit du auch gebest?"
A. So kann man es mißverstehen; es ist aber etwas ganz Anderes, etwas
ganz Andersartiges, etwas viel Tieferes. Es ist göttlich, nicht menschlich.
F. Was denn?
A. Es wird hier dem Menschen ein sehr einfacher Maßstab für das rechte
Verhalten zu den Andern in die Hand gegeben: Beurteile und behandle sie so,
wie du selbst möchtest beurteilt und behandelt werden, und du triffst unfehlbar
das Richtige. Du willst von ihnen heilig gehalten werden, heilig gehalten vor
allem in deinem Heiligsten: tue das den Andern gegenüber. Du willst, daß der
Andere dich verstehe: versuche du selbst, ihn zu verstehen. Du willst, daß der
Andere gegen dich wahr und offen sei: sei es selbst gegen ihn. Du willst das
Recht haben, dein Heiligstes zu wahren: billige es auch ihm zu. Du willst, um
das Höchste zu nennen, von ihm Liebe empfangen: gib auch du sie ihm. Kurz, alles
was du für dich als recht, gut und schön empfindest: gib es auch dem Andern.
Dann wirst du nie fehlgehen. Wir müssen uns so in den Andern hineinfühlen, uns
so in ihn versetzen, als wären wir er selbst.
Das ist wieder eine fundamentale Umkehrung des gewöhnlichen Verhaltens. Gewöhnlich
wollen wir, daß die Andern uns geben, was wir wollen, - aber wir wollen es ihnen
nicht geben. Wir wissen in Bezug auf uns selbst merkwürdig genau, was recht
ist - aber wir wissen es merkwürdig wenig in Bezug auf die Andern. Wir empören
uns, wenn wir angetastet werden, besonders im Heiligsten - aber wir tasten die
Andern ruhig an. Wir fordern für uns Verständnis - aber wir geben uns keine
Mühe, sie zu verstehen. Wir fordern von den Andern Liebe - aber wir geben ihnen
keine. Wir wissen alles genau für uns - aber wir wissen es nicht für die Andern.
Wir sind egozentrisch, nicht heterozentrischl. Darum fordert Jesus wieder die
Umdrehung um hundertachtzig Grad. Diess sei das Gesetz und die Propheten, das
heißt: darin sei in bezug auf das Verhältnis von Mensch zu Mensch die ganze
Wahrheit Gottes und des Menschen enthalten.
F. Wie kann diese Umdrehung geschehen?
A. Wie immer: von Gott aus, dem Herrn und Vater. Er allein kann die Herrschaft
des Ich brechen durch seine Macht und Liebe; er allein kann die egozentrische
Haltung durch die heterozentrische ersetzen, indem er die theozentrische setzt,
von der aus die anthropozentrische ihr Recht hat. Wenn wir Gott, den Herrn kennen,
dann sehen wir über dem Andern das Recht, das er von Gott hat. Wenn wir Gott,
den Vater kennen, dann begegnet uns im Andern, namentlich im Schwachen und Geringen,
er selbst. Dann müssen wir uns in ihn hineinversetzen, müssen uns an seine Stelle
setzen. Dann wird alles recht. Wir sind in Gott nicht Getrennte und werden in
ihm eine Einheit. Das ist, auf dieser Linie, die ungeheure Revolution Christi:
im Andern Gottes Recht erkennen und achten, das Recht des Menschen, das Recht
des Bruders. Das ist seine Weltrevolution.
F. Ist unter dem Andern nur der Einzelne zu verstehen, oder auch Gemeinschaften,
Völker, Rassen, Religionen, Kirchen und so fort?
A. Auch über ihnen ist das Recht Gottes, des Herrn. Auch mit ihnen sind
wir verbunden durch den Vater. Auch in ihnen begegnet uns Gott. Auch mit ihnen
sind wir Eins. Auch in sie müssen wir uns hineinfühlen. Auch an ihre Stelle
müssen wir uns selbst versetzen: unsere Familie, unser Volk, unsere Rasse, unsere
Religion, unsere Kirche. Das ist die tiefste Lösung des politischen und sozialen
Problems. Das ist der Sozialismus und Kommunismus Gottes und Christi. Das ist
das Ende des Krieges: des Klassenkrieges, des Völkerkrieges, des Rassenkrieges,
des Religionskrieges - allen Krieges. Das ist der Gottesfriede unter dem heiligen
Recht Gottes, des Herrn und Vaters.
F. Ist dieser Maßstab, mit dem wir das Verhalten zu dem Andern, dem Einzelnen
und der Gemeinschaft, messen sollen, nun in Ordnung? Können wir nicht auch in
Bezug auf uns selbst irren? Können wir nicht stumpf, kalt und arm und darum
auch Andern nichts zu geben imstande sein?
A. Gewiß. Darum folgt aus der Regel Jesu, daß wir den Maßstab in Ordnung
bringen. Es folgt daraus, mit andern Worten, daß wir an uns selbst arbeiten
müssen, damit wir den Andern das sein können, was wir sein sollen. Wir müssen
fein und feiner empfinden lernen, damit wir die Andern fein und feiner empfinden
können. Wir müssen uns heilig halten, damit wir die Andern heilig halten können.
Wir müssen uns reich machen, damit wir den Andern viel geben können. Wir müssen
liebevoll werden, damit wir viel Liebe geben können. Wir müssen viel leiden
- und das ist auch ein Sinn des Leides -, damit wir Andere in ihrem Leide trösten
können. Wir müssen immer völliger Gottes werden, damit wir immer völliger in
ihm des Menschen werden. Es gibt in diesem Sinne eine heilige Selbstliebe. Auch
so sind Ich und Du verbunden. Darum lautet ja das große Gebot: «Du sollst Gott,
deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte
und mit allen deinen Gedanken, und deinen Nächsten wie dich selbst».1 Wie dich
selbst! Das vergißt man oft. 1 Vgl. Matthäus 22, 34-40.
F. Ist die Losung von der heiligen Selbstliebe nicht eine Gefahr?
A. Sie gilt nur im Verhältnis zum Andern: Nur um den Andern recht lieben
zu können, dürfen, ja sollen wir uns selbst lieben.
F. Kann man nicht auch umgekehrt sagen: Nur vom Andern aus kommen wir
ganz zu uns selbst, nur die Nächstenliebe lehrt uns die Selbstliebe?
A. Auch das ist tiefe Wahrheit. So hat das Wort einen gewaltigen Sinn:
Sich im Andern sehen und den Andern in sich, das ist das Reich Gottes und der
Weg zu ihm. Sich und den Andern in Gott sehen sich und dem Andern Gottes Recht
geben, das Recht des Herrn und Vaters, sich mit dem Andern in Gott Eins wissen:
das ist die Revolution der Religion wie die Revolution der Welt. |
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